Sonntag, 10. März 2013

Die griechische politische Kultur





Es gibt keinen zeitlichen und sachlichen Spielraum mehr, um die Bedeutung der Dimension und der Folgen des griechischen Verschuldungsproblems weiter zu unterschätzen und vor sich her zu schieben, welches zu einem europäischen Problem zu werden droht.
Die Skandale, die Korruption, die Unzulänglichkeiten und die Unzuverlässigkeit der griechischen Politiker sind nicht bloße Fußnoten der griechischen Tragödie und möglicherweise auch des Euro. Sie waren und sind Teil einer seit Jahrzenten gefestigten „griechischen politischen Kultur“ der Gesetzlosigkeit, des Betrugs und des korrupten Verhaltens der griechischen Politiker und ihres Klientel.
Diese „griechische politische Kultur“ führte dazu, dass die Vorteile Griechenlands aus seinem EU-Beitritt weitgehend vergeudet wurden und ermöglichte unverdient einer kleinen Minderheit nicht nur die Plünderung des Reichtums einer Nation[1], sondern gefährdete und gefährdet zugleich die gemeinsame Europäische Währung.
Die griechischen Politiker waren allerdings nicht allein schuld an der Entstehung der kurz beschriebenen korrupten „griechischen politischen Kultur“.
Mitverantwortlich dafür waren und sind auch Tausende andere Personen aus allen gesellschaftlichen Schichten Griechenlands. Zu nennen sind vor allem sowohl die griechische Oberschicht, die permanent ihre Einkommen - durch die teilweise erkaufte Duldung der Politiker - verschwiegen hat und noch verschweigt, als auch die vielen Tausende aus der Mittel- und Unterschicht, die dem Klientel System der Politiker angehören.
Dieses System von Klientel und Vetternwirtschaft brachte und bringt ihnen zwar bescheidene Entlohnungen, dafür aber dauerhafte bequeme und unproduktive Beschäftigungen im öffentlichen Dienst sowie großzügige Renten.
Es gab und es gibt also eine Art stillschweigende Verschwörung zwischen allen diesen Schichten, die sich staatliche Privilegien untereinander teilen.
Insofern ist Griechenland eine Volkswirtschaft mit relativ hohem BIP (208,5 Mrd. € 2011), aber mit niedrigen Steuern und niedriger Qualität der öffentlichen Dienstleistungen, die sich negativ auf die Produktivität der gesamten Volkswirtschaft auswirkten. Die daraus erwachsenen Probleme wurden durch die reichen Subventionen aus den EU- Strukturfonds und durch die relativ billigen ausländischen Kredite abgedeckt. Zugleich wurde die Fortführung dieser Politik zusätzlich erleichtert durch die erzwungene Flucht des intelligenten, aber frustrierten griechischen Humankapitals ins Ausland, welches nicht nur die Leistungsfähigkeit der griechischen Volkswirtschaft hätte erhöhen, sondern auch Widerstand gegen diese Politik hätte leisten können[2].
 
- Einige Beispiele der „griechischen politischen Kultur“ 

Die moderne Lernea Hydra[3] Griechenlands enthält nach Manolopoulos 7 unsterbliche Köpfe. Diese sind:
(1)  die Bestechungen, insbesondere im öffentlichen Dienst, „Rousfeti“ oder „Fakelaki“ auf Griechisch genannt,
(2)  die Vetternwirtschaft (Nepotismus),
(3)  der übertriebene staatliche Dirigismus (Κρατισμός),
(4)  das Klientel System der Politiker,
(5)  die Korruption auf allen Ebenen des gesellschaftlichen Lebens,
(6)  die geschlossenen Berufe und
(7)  die Verschwendung von öffentlichen Geldern.
Diese sieben Eigenschaften stellen in all ihren Facetten die systemische und politisch-kulturelle Dimension des neugriechischen Dramas dar. Im Folgenden sollen einige konkrete Beispiele diese Eigenschaften der neugriechischen politischen Kultur illustrieren.
- Man las am 27. August 2010 in der griechischen Presse, dass 321 100jährige Personen, die längst verstorben waren, immer noch ihre Rente bezogen haben.
- Die Kosten für die Olympischen Spiele im Jahre 2004 in Athen waren zunächst von der damaligen Regierung Simitis auf ca. 5,5 Mrd. USA $ berechnet. Die tatsächlichen Kosten betrugen schließlich 11 Mrd. USA $.
- Die Steuerfahndung hat bei einer Routineuntersuchung festgestellt, dass ein Arzt eines öffentlichen Krankenhauses, dessen jährlichen Bruttoeinkommen ca. 36.000 € betrugen, unversteuerte Bankeinlagen in Höhe von 30 Mio. € hatte.
- Luxus Wohnungen gelten in Griechenland als besonderes Einkommenskriterium, anhand dessen ein Teil der Einkommenssteuer berechnet wird. In nördlichen vornehmen Vororten von  Athen, in welchen die griechische Wirtschaftselite ihre Luxus-Villen hat, werden zusätzlich die Swimmingpools als Einkommenskriterium angesehen, welche dem Finanzamt gemeldet werden müssen. Im Jahre 2010 wurden in den nördlichen Vororten Athens nur 324 Swimmingpools gemeldet. Satellitenbilder haben aber gezeigt, dass 16.974 Swimmingpools dort existierten.
- Im Jahre 1952 begann man einen Süßwassersee, namens Kopaida, zu entwässern, um landwirtschaftliche Fläche zu gewinnen. Dafür wurde damals eine Behörde gegründet mit 30 öffentlichen Bediensteten, die diese Arbeit in ca. 3 Jahren erledigt hatten. Im Jahre 2010, 55 Jahre danach, existierte immer noch diese Behörde mit den 30 Bediensteten, die angeblich immer noch mit der Entwässerung des nicht mehr existierenden Sees zu tun hatten.
- Im Juli 2010 wurde von der griechischen Regierung zum ersten Mal der ernsthafte Versuch unternommen, die Anzahl der Bediensteten im öffentlichen Dienst festzustellen. Man hat zunächst  768.009 Personen ermittelt. Diese machten ca. 19,2% der gesamten griechischen Beschäftigung im Jahre 2010 aus. Der Anteil der öffentlichen Beschäftigten in Deutschland betrug im selben Jahr ca. 11%. Würde man in Griechenland prozentual genau so viele öffentlichen Bediensteten wie in Deutschland beschäftigen, dann hätte man in Griechenland  sofort  ca. 328.000 Personen aus dem öffentlichen Dienst entlassen müssen.       
Hier möchte ich mit der Aufzählung dieser kaum vorstellbaren Praktiken der griechischen Regierungen aufhören, die endlos sind[4].
Die Krönung des Ganzen ist, dass die Politiker für alles, was sie tun, nicht bestraft werden dürfen. Die Artikel 62 und 86 der griechischen Verfassung gewähren den Abgeordneten (Art. 62) und den Mitgliedern der Regierungen (Art. 86) vollständige Immunität. Kein Abgeordneter und kein Regierungsmitglied dürfen ohne die Genehmigung des Parlaments für Straftaten verfolgt, verhaftet oder mit Gefängnis bestraft werden. Diese de facto Aufhebung der Gewaltenteilung in Griechenland erlaubt die berechtigte Frage:  Gibt es in  Griechenland noch eine rechtsstaatliche Demokratie? 
Nach dieser kurzen und bei weitem nicht vollständigen Darstellung der „griechischen politischen Kultur“ stellen sich folgende Fragen:
·         Warum hat es so lange gedauert bis dieses System zusammenbrach?
·         Tragen die Institutionen der EU nicht einen Teil der Verantwortung/Schuld für diese fatale Entwicklung in Griechenland mit, da sie von Anfang an Toleranz und Vertrauen diesen korrupten Politikern entgegen brachten und - nach allem, was man heute weiß - unverständlicherweise immer noch bringen, indem man ihr politisches Überleben immer noch mit Mrd. € europäischen Subventionen und mit Mrd. € billigen Krediten aufrechterhält?
·         Wann werden endlich die EU und die politisch Verantwortlichen in der Europäischen Kommission, im Europäischen Rat und  im IWF wach?
·         Wann werden sie  ihre Politik gegenüber Griechenland so ändern, dass nicht mehr die alten und korrupten Politiker allein die Nutznießer der Vorteile der Mitgliedschaft in der EU und in der Eurozone sind?
·         Wann wird letztendlich auch die breite Masse des griechischen Volkes die Chance bekommen, aus der Europäischen Gemeinschaft Nutzen zu ziehen, aber auch zur Weiterentwicklung der Gemeinschaft etwas beizusteuern?
Daher liebe Europäer geben sie bitte den griechischen Politikern die noch benötigten Mrd. € Kredite nur dann, wenn sie erst ihren Staatshaushalt durch Strukturreformen, durch Eintreibung der hinterzogenen Steuern, durch eine gerechte Verteilung der Steuerlasten und nicht zuletzt durch eine radikale Bekämpfung der eigenen und der generellen Korruption Griechenlands.  Nur so werden sie als Troika von den Griechen toleriert und letztlich akzeptiert..  


[1] Griechenlands Volkswirtschaft leistet trotzt der Rezessionskrise immer noch ein BIP von ca. 208,5 Mrd. € (2011) bzw. ca. 19.000 €
  pro Kopf oder ca. 50.000 € pro Beschäftigten.

[2] Zu diesen Ausführungen siehe Μανωλόπουλος, Ιάσων (2012): Το Επαχθές χρέος της Ελλάδας, Σ. 219. (Manolopoulos, Iason (2012): Die „belastenden“ Schulden Griechenlands.

[3] Die Hydra ist ein vielköpfiges schlangenähnliches Ungeheuer der griechischen Mythologie. Wenn es einen Kopf verliert, wachsen
  an dessen Stelle zwei neue, zudem war der Kopf in der Mitte unsterblich. Dieses Ungeheuer besiegte Herkules.

[4]Manolopoulos führt eine sehr große Liste von Skandalen dieser Art auf. Siehe Fußnote 4,  S. 165 ff.

1 Kommentar:

  1. Sehr geehrter Herr Prof. Paraskewopoulos,

    herzlichen Dank für Ihre Einsichten, die Sie uns - den nicht so mit Griechenland befassten - Menschen geben. Manches ist witzig (siehe die Dinge die Merkel noch machen muss vom 24.2.), alles ist auf jeden Fall erhellend.

    Ich würde mir aber auch wünschen, dass nicht nur die Reflektion der jetzigen Zustände erfolgt, sondern auch eine Vision erzeugt wird, die als Leitbild dienen kann um diese Zustände zu überwinden. Ich glaube nicht, dass die herrschende Klasse selbst Wege aufzeigen wird, wie diese Krise überwunden werden kann. Ich denke eher, dass das Volk hier viele Dinge in die Hand nehmen muss, um diese Zustände zu überwinden. Aber wo dann anfangen? Was wären die ersten wichtigen Schritte? Auf welche Vision arbeiten alle dann hin?

    Ich habe Sie in Wien auf der Veranstaltung vom Bürgerforum und nsolutions gehört und denke, dass Sie mit Ihrem Hintergrund, hier grossartige Aufbauarbeit leisten könn(t)en.

    Ich freue mich, wenn einige Ihrer nächsten Blogs aus eine solche mögliche Vision eingehen.

    Mit freundlichen Grüßen

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